Talente 2004
Talente 2004

Talente 2004

2004 wurden aus 350 Bewerbungen 85 Teilnehmer aus 21 Ländern ausgewählt und eingeladen.  Gegenüber den letzten Jahren, in denen Keramik, Schmuck und Textil stark repräsentiert waren, hatte TALENTE 2004 einen deutlichen Schwerpunkt im Werkbereich Glas.  Die Norwegerin Kjersti Johannessen und der Däne Jacob Lungholt führten den hohen Standard der dänischen Glasausbildung vor Augen.  Lungholts einfache Gefäße spiegeln die dualistischen Arbeitszustände des Glaskünstlers wieder - temperamentvolles Agieren beim Glasblasen und ruhige Kontemplation bei der Nachbearbeitung.  Johannessen erkundet in ihren Materialexperimenten die Dekonstruktion der Form beim Farbwechsel.  Auch Hannah Cridford aus Schottland setzte sich mit Dynamik und Statik ihrer Bewegungsabläufe als Glaskünstlerin auseinander und fand eine adäquate Metapher - die des Extremtänzers.  Aus München stammten die Beiträge von Essi Utriainen und Wojciech Rucinski, die beide mit Pâte de Verre arbeiten.  Utriainen setzt ihre abgelegten Girlie-Shirts ins hochfragile Material um, Rucinski baut aus Pâte de Verre gleich ganze Türme.  
 

Kein Werkbereich versteht es, das Grenzgebiet zwischen angewandter und bildender Kunst so ausdauernd zu erkunden wie die Keramik.  TALENTE 2004 hat neben klassischer Gefäßkeramik wieder viele Objekte und sogar Skulpturen gezeigt.  Die in Dänemark gepflegte Liebe zur Oberflächenbehandlung und ein gehöriges Maß an Technizismus spiegeln die Objekte von Kristine Tillge Lund, die an Baugruppen aus der Antriebstechnik erinnern.  Auch Kate Milenkovic nimmt mit ihren subtil differenzierten Serienobjekten Getriebliches unter die Lupe - nur daß es ihr ums gesellschaftliche Getriebe geht, und sie gerne auf die Macht des feinen Unterschieds hinweisen möchte.  Seriell ist auch die Arbeit von Christopher Faller aus England, und ihn beschäftigt das Sammeln von Objekten, deren Tauschwert in keinem Verhältnis zu ihrem Gebrauchswert steht.  Ob er den Fetischcharakter von schwarz- und rotfiguriger Malerei übertreibt?  Etwas Ironie dürfte im Spiel sein.  Erosion, Verfall und Tod dagegen ist, was seine Landsfrau Emma Harmes umtreibt, deren Experimente mit Keramik und Sprengstoff befremdende Oberflächen, Strukturen und Farben hervorrufen.  Abgründig muß der Humor schon sein, und die Aussicht über geologisch faszinierende Todeslandschaften wie das Death Valley gerät zum Blick auf das letzte Stadium eines körperlichen Zerfalls.  Verborgenes hat auch - in Anlehnung an buddhistische Darstellungen - Kenjiro Kitade aus den USA sichtbar gemacht.  Gier heißt seine Skulptur, und in erhabener Einfachheit stellt sie die Triebfeder menschlichen Strebens vor.  Ebenfalls für die Skulptur interessiert sich Roos Leddy aus den Niederlanden.  Ihre lebenslustigen Alten aus der - positive generation - blickten von oben auf jene neue lost generation herab, die ihrem Schicksal in der entfesselten Warenwelt entgegenschreitet. 

Frisch, jugendlich, konzeptionell überzeugend und handwerklich brillant präsentierte sich der Schmuck bei TALENTE 2004.  Samt- und Seidenstickerei nutzt die in Italien ausgebildete Goldschmiedin Yu-Chun Chen zu überraschenden Eckeffekten an ihren kästchenartigen Silberbroschen.  Ihre Geschichten sind niemals zuende erzählt, auf die Fortsetzung wartet man gespannt.  Zum Sticken kam auch Brigitte Adolph aus der Schweiz.  Ihr praktischer Schmuck für Tagträumer bietet auch dem unruhigem Gewissen ein sanftes Ruhekissen.  Die spritzigen Sommerlinge von Florian Brune aus Hanau dagegen waren nicht für die Ewigkeit gemacht.  Sie sollten, wie der Name besagt, gerade einen - hoffentlich erfolgreichen - Sommer lang halten.  Die Goldschmiedin Noa Eini aus Israel stattete ihre Kunden mit Schmuck für die besonderen Augenblicke des Tages aus; es sind Blickfänger im wahrsten Sinne des Wortes.  Ungeschminkt, nüchtern und stark präsentierte sich der Halsschmuck von Karola Torkos.  Ihre Ausbildungsjahre auf der Burg Giebichenstein zu Halle lassen sich nicht verleugnen.  Das Material ihrer Ketten - Silber, Eisen, Gold - tritt ganz hinter die Aufgabe zurück, den Körper zu schmücken, und der Halsschmuck wird schließlich zur Zeichnung auf dem Leib.

Im Werkbereich Metall beschritt die Belgierin Tine de Ruysser neue Wege.  Aus selbstentwickeltem Material - einem metallischen Verbundstoff - hat sie flexible Schalen und Taschen geschaffen, die ihr metallisches Wesen nicht verleugnen.  Auch im Werkbereich Textil standen ungewöhnliche Materialien und Techniken auf der Agenda.  Susu Gorth aus München hat sich mit Oberflächen und Landschaften auseinandergesetzt.  Aus Müllsäcken entstand eine üppige Raumimpression.  Den Balanceakt zwischen angewandter und freier Kunst vollführte Annakarin Pettersson aus Schweden mit traumwandlerischer Sicherheit.  Sie hat intensive Materialstudien und eine der ursprünglichsten Techniken des schwedischen Kunsthandwerks - das Nähen von Birkenrinde - genutzt, um zu einem Bildwerk von heftiger Ausdruckskraft zu kommen.  Die Geburt des Birkenmannes geriet zum Auftritt eines archaischen Untoten, einer Art Moorleiche aus organischem Material. 

Zum Modedesign legen die Textilerinnen Gayla Rosenfeld aus den USA und Claudia Caviezel aus der Schweiz die Fäden aus.  Beide treiben die Arbeit mit Versatzstücken auf die Spitze.  Die Schnittmuster, die sie - jede auf ihre Weise -  aus der Textiltechnik selbst heraus entwickeln, sind konsequent und verraten auf sympathische Weise, daß frau nicht zu Kompromissen neigt.