Berufsbildung ohne GrenzenNach der Lehre: Bäcker Marvin Selbmann in Dubai
Interview: Malte Stegner
Mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen von „Berufsbildung ohne Grenzen“ können Lehrlinge, junge Gesellen und Meister ein durch Erasmus+ gefördertes Auslandspraktikum absolvieren. Wir haben mit Marvin Selbmann gesprochen, der als Bäcker in Dubai neue Eindrücke gesammelt hat.
Marvin, du hast Deine Ausbildung zum Bäcker erfolgreich abgeschlossen. Wie verlief dein Weg bis hierher?
Richtig, ich habe meine Lehre bei Max Rischarts Backhaus in München vor Kurzem beendet.
Durch meine Hochschulzugangsberechtigung konnte ich meine Lehrzeit verkürzen. Den Beruf des Bäckers habe ich erlernt, weil meine Eltern in der Nähe von Dresden eine eigene Bäckerei besitzen und ich so schon von klein auf jeden Tag gesehen habe, wie interessant und kreativ es ist, Brot und Backwaren selbst herzustellen.
Die Mobilitätsberaterinnen Frau Budick und Frau Mutzel haben Dich bei Deinem Vorhaben unterstützt, ein durch Erasmus+ gefördertes Auslandspraktikum in Dubai zu absolvieren. Wie kam es denn zu dem Wunsch, im Ausland zu arbeiten?
Bereits während meiner Ausbildung haben einige Klassenkameraden für meist drei Wochen ein Praktikum im Ausland gemacht. Deshalb kannte ich diese Möglichkeit und wollte sie auch für mich nutzen. Leider hat es sich zeitlich während der Ausbildung nicht ergeben.
Der entsprechende Kontakt für diese Zeit nach meiner Ausbildung ergab sich während meines dritten Lehrjahres bei einer Begegnung im Bildungszentrum München. Während eines dortigen Besuchs einer brasilianischen Delegation bin ich mit einer Mitarbeiterin der Handwerkskammer ins Gespräch gekommmen, die mich auf die Partnerschaften mit verschiedenen Ländern aufmerksam gemacht und mir den Kontakt zur Berufsbildung ohne Grenzen (BOG) vermittelt hat. Die Mitarbeiterinnen der BOG haben mich informiert, dass es auch nach der Ausbildung noch möglich ist, ein gefördertes Praktikum im Ausland zu absolvieren. Und so habe ich diesem Wunsch Taten folgen lassen.
Wie lange hat das Praktikum gedauert?
Insgesamt dauerte mein Aufenthalt in Dubai acht Wochen. Diesen Zeitraum empfehle ich auch, um ausreichend Eindrücke vom Gastbetrieb, den Arbeitsabläufen und den dort hergestellten Produkten zu sammeln und die lokalen Besonderheiten des eigenen Handwerks kennenzulernen.
Wie ist denn die Ausbildung in Dubai geregelt? Gibt es dort auch Berufsschulen und überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen wie bei uns?
Ein duales System der Berufsbildung wie bei uns gibt es in Dubai nicht. Mein Chef, Sven Mostegl, muss deshalb die ungelernten Kräfte so nachschulen, dass die Arbeitsabläufe funktionieren und am Ende leckere, qualitativ hochwertige Brot- und Backwaren verkauft werden können.
Du hast ja gerade schon von dem Betrieb in Dubai und dem dortigen Chef, Herrn Mostegl, gesprochen. Wie hast Du ihn kennengelernt?
Herrn Mostegl habe ich auf der Messe in München kennengelernt, von der ich vorher schon erzählt habe. Seine Bäckerei in Dubai heißt Bakers Kitchen und er hat sich der Philosophie des „gesunden Backens“ verschrieben, da viele Menschen dort mittlerweile wenig bis gar kein Brot mehr essen.
Herr Mostegl hatte zuerst ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und dann das Bäckerhandwerk erlernt. Vor 20 Jahren ist er mit seiner Familie nach Dubai ausgewandert.
Dubai ist nicht gerade als günstiges Reiseziel bekannt. Wie hast du eine Unterkunft gefunden?
Das war recht unkompliziert für mich. Dadurch, dass Sven Mostegl hier unter den Bäckern recht bekannt ist, gibt es immer mal wieder Lehrlinge aus dem Ausland, die ihn besuchen und sein Gästezimmer benutzen können. Kost und Logis sind für mich frei.
Und wie hast Du Deinen Lebensunterhalt in Dubai finanziert?
Ich habe von der Handwerkskammer München ein Erasmus+ -Stipendium erhalten, das sich aus einer Reisekostenpauschale und einem Tagegeld zusammensetzt.
Ein Erasmus+-Stipendium? Das klingt interessant. Erzählst Du ein bisschen davon?
Erasmus+ ist ein Begriff, den man eigentlich nur von Studenten kennt, wenn sie ein Erasmus+ -Auslandssemester absolvieren. Mittlerweile haben aber auch Lehrlinge, Gesellen und Meister, innerhalb von 12 Monaten nach ihrem Abschluss die Möglichkeit, solch ein Stipendium zu erhalten.
Das Stipendium setzt sich zusammen aus einer Reisekostenpauschale und einem Tagegeld. Die Reisekosten hängen von der Entfernung des Praktikumsbetriebs im Ausland ab. In meinem Fall war die Pauschale mit Dubai natürlich relativ hoch.
Und dann gibt es noch ein Tagegeld für jeden einzelnen Praktikumstag. Auch die Höhe des Tagegelds ist abhängig von dem Land, in dem das Praktikum absolviert wird.
Insgesamt ist das Stipendium eine tolle Sache, um über den Tellerrand zu schauen und herauszufinden, wie in anderen Ländern der Welt gearbeitet wird.
Hast Du neben der finanziellen Unterstützung durch das Erasmus+ Stipendium noch andere Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen von Berufsbildung ohne Grenzen erhalten?
Ja, das habe ich. Frau Mutzel und Frau Budick hätten mir auch noch mit anderen Betriebskontakten im Ausland helfen können, wenn es mit Bakers Kitchen nicht geklappt hätte. Die Kontakte der Handwerkskammer München reichen sogar bis nach Brasilien.
Ich wurde durch den „Antragsdschungel“ geführt und Frau Mutzel und Frau Budick haben mir stets erklärt, welche Unterlagen noch benötigt werden. Auch während meines Praktikums haben sie sich erkundigt, wie es mir geht und am Ende gab es dann den Europass, mit dem ich noch einmal „schwarz auf weiß“ belegen kann, was ich in Dubai alles gelernt habe.
Zum Glück ist Arbeit nur das halbe Leben. Wie verbringt ein deutscher Azubi in Dubai seine Freizeit?
Ich verbringe die meiste Zeit meiner Freizeit mit Sven, und er genießt das wirklich. Außerdem ist hier gerade ein weiterer deutscher Bäcker aus Landsberg am Lech, mit dem wir auch viel unternehmen. Natürlich darf man auch die touristischen Highlights wie die Dubai Mall oder das Burj Khalifa nicht verpassen - die sind einfach immer einen Besuch wert!
Du hast eingangs vom „gesunden Backen“ gesprochen. Was meinst Du damit?
Der Schlüssel liegt hier in der Vollfermentation. Das bedeutet, dass verarbeitetes Getreide bereits vorfermentiert wird. Anders als viele Bäcker in Deutschland vermengen wir hier bereits am Vortag alles Mehl mit dem gesamten Teigwasser, so dass dies bis zum nächsten Tag vorquillt und eben vorfermentiert. Damit wird für den Menschen das spätere Brot bekömmlicher. Dies liegt daran, dass in der Vollfermentierung unter anderem nicht gut verträgliche Proteine biologisch abgespalten werden.
Konntest Du während des Praktikums Unterschiede zwischen dem Bäckerhandwerk in Deutschland und dem Handwerk in Dubai feststellen? Welche Vorlieben und Besonderheiten gibt es?
Vorlieben ist ein guter Punkt. Die Emiratis mögen ihre Backwaren eher heller, die Kruste dünner und generell weniger kross als wir. Auch legen sie wie z.B. die Amerikaner Wert darauf, dass jedes Brot einzeln verpackt wird.
Und was haben beide Länder gemeinsam?
Als deutsche Bäckerei bieten Bakers Kitchen viele Produkte an, die man aus der Heimat kennt, allerdings mit einigen kleinen Anpassungen. Das kann eine andere Backstufe sein oder auch weniger Brotgewürz im Teig.
Deutsches Brot ist an vielen Orten in der Welt ein bekanntes Produkt für Qualität. Was war in Dubai das beliebteste Backwerk, zu dem du dein Wissen mitgebracht hattest?
Unser Verkaufsschlager war das Weizenbrot mit 20% Roggenanteil. Wir bedienen damit auch viele Lieferkunden wie Hotels und Restaurants.
Das Bäckerhandwerk hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Auch Nachwuchs zu finden ist aktuelle eine Herausforderung. Wie siehst du hier Dubai und Oberbayern im Vergleich?
Sowohl in Deutschland als auch in Dubai ist es eine Herausforderung fähiges Personal zu finden. Ganz unabhängig davon, ob das ungelernte Kräfte, potenzielle Auszubildende oder Menschen mit entsprechender Berufserfahrung sind.
Kannst du dir nach deiner Rückkehr nach Deutschland vorstellen, noch einmal in der Golfregion zu arbeiten?
Grundsätzlich ja, wobei ich auch gern erleben würde, wie in anderen Ländern gebacken wird.
Wo wäre das?
Die Schweiz ist für mich äußerst faszinierend, aber auch Südkorea und Südamerika bieten für uns Bäcker spannende Ansatzpunkte, von denen wir fachlich viel lernen können.
Jetzt aber erstmal hier weiter durchstarten. Steht für dich bald die Meisterschule an?
Auf jeden Fall! Ich überlege gerade, ob ich beim Meister bleiben soll oder ob ich tiefer in die Materie einsteige und den Lebensmitteltechniker im Bereich der Bäckereitechnologie mache. Die Ausbildung kann ich in Berlin und Hannover kombinieren, zusammen mit dem Bäckermeister. Mir geht es in erster Linie darum, mein Fachwissen zu erweitern, denn hier wird das Thema aus völlig neuen Blickwinkeln betrachtet.
Was rätst du Jugendlichen, die selbst den Wunsch haben, während ihrer Ausbildung oder danach ins Ausland zu gehen?
Los geht's! Ein Auslandsaufenthalt verändert das gesamte Weltbild einer Person. Ich erlebe, dass fast alles von Hand gefertigt wird, ohne teilautomatisierte Prozesse wie in Deutschland. Die Arbeitsweise ist grundlegend anders – hier arbeitet man auch sechs Tage die Woche, 200 Stunden im Monat, und das bei einem niedrigeren Verdienst im Vergleich zu Deutschland. Dies hängt auch mit der großen Zuwanderung aus Indien und Afrika zusammen. Das Lohnniveau ist für uns Europäer sehr ungewohnt, aber es lässt uns den Wert unserer Arbeit nach der Rückkehr umso mehr schätzen. Besonders faszinierend sind auch die Arbeitszeiten: Wir starteten um 17 Uhr und machten gegen 1 oder 2 Uhr morgens Feierabend. Dann belieferten unsere Fahrer die Restaurants und Hotels, und die Tagschicht beginnt am Morgen in der Bäckerei mit dem Verkauf der frischen Ware. Für Bäcker in Deutschland könnte dies eine Idee sein, neue Auszubildende zu gewinnen. Durch das Praktikum bin ich sowohl fachlich als auch persönlich sehr gewachsen.
Info: Was ist Vollfermentierung?
Die Vollfermentierung von Backwaren ist nicht nur für Menschen mit Typ-2-Diabetes von Interesse, sondern auch für alle, die ihren Blutzuckerspiegel stabil halten möchten. Im Vergleich zu nicht fermentierten Produkten verhalten sich vor- und vollfermentierte Backwaren nach dem Verzehr tendenziell besser für den Blutzuckerspiegel.
Während des langsamen, am Vortag begonnenen Fermentierungsprozesses werden bestimmte Bestandteile der Nahrung, insbesondere in Getreide und Mehl, bereits im Vorfeld abgebaut. Dies macht sie für den menschlichen Körper leichter verdaulich und besser verträglich. Ein Beispiel dafür sind die Proteine aus der Gruppe der Lektine, die von Pflanzen und Getreiden als Abwehrmechanismus gegen Fressfeinde produziert werden. Diese Lektine können Verdauungsbeschwerden und Blähungen verursachen, aber durch die Vollfermentierung werden sie bereits vor dem Verzehr abgespalten.
Man kann die Vollfermentierung des Getreides mit der Zubereitung von grünen Bohnen vergleichen. Wie bei den Bohnen, die durch das Kochen und die damit einhergehende Spaltung der Proteine erst verdaulich werden, macht die Vollfermentierung des Getreides die enthaltenen Nährstoffe leichter zugänglich und bekömmlicher für unseren Körper.